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Clicktivism – Engagement per Klick

Clicktivism

Die relativ neue Form der Bürgerbeteiligung macht unter der Bezeichnung „Clicktivism“ die Runde. Darunter versteht man im Wesentlichen die Organisation von sozialen Protesten mithilfe sozialer Medien. Damit verbunden ist auch das Phänomen des so genannten „Slacktivism“, ein Modewort, das es im Oxford Dictionnary sogar bis in die Hitlist der Wörter des Jahres geschafft hat. Es ist eine Kombination aus den englischen Wörtern slacker (Faullenzer) und activist (Aktivist) und deutet auf das geringe Maß an persönlichem Engagement hin, das diese Form der Bürgerbeteiligung erfordert. Daher ist auch die negative Konnotation des Wortes wenig verwunderlich, da es den „digitalen Aktivisten“ unterstellt, sich mit minimalem Aufwand und ohne persönliches Engagement ein reines Gewissen und ein zufriedenes Ego zu verschaffen.

Erfolge: Der größte Erfolg der Zivilgesellschaft der letzten Jahre ist dem Clicktivism zu verdanken: Die erste EU-Bürgerinitiative (EBI) „Right2Water“ musste eine Millionen Unterstützer in einem Viertel aller EU-Mitgliedsstaaten finden, damit sich die EU-Kommission mit dem Anliegen befasst. Vorwiegend durch Online-Petitionen konnten schlussendlich stolze 1.884.790 Unterschriften gesammelt werden. Ebenso der enorme Widerstand gegen die vieldiskutierten Freihandelsabkommen CETA und TTIP ist dem digitalen Aktivismus der europäischen NGOs anzurechnen: Enorme 3.284.289 europäische Bürger haben sich dagegen ausgebsprochen.

Die Kritik an der digitalen Form des Aktivismus macht an diesem Punkt jedoch nicht Halt. So hätte Slacktivism im „realen Leben“ wenig bis gar keinen Effekt und verdränge sogar „reales“ politisches Engagement in Parteien, Vereinen oder lokalen Bürgerinitiativen, so die Kritiker. Da virtuelle Proteste oft ein hohes Maß an Marketingexpertise aufweisen, wird ihnen zudem unterstellt soziale Bewegungen als reine Werbekampagnen zu verstehen. Demokratisches Fast-Food. Nicht zuletzt würden sie den digital divide in der Gesellschaft verstärken und damit politisch ohnehin benachteiligte Randgruppen noch weiter ausgrenzen.

Clicktivism – Erfolge der Zivilgesellschaft

Demgegenüber stehen jedoch beeindruckende Erfolge, die diese Form des zivilgesellschaftlichen Engagements mittlerweile vorzuweisen hat. Etwa die Freilassung des Menschenrechtsaktivisten Ai Weiwei durch die chinesischen Behörden im Jahr 2011, die Organisation des Boykotts gegen den amerikanischen Bio-Supermarkt Whole Foods oder auf der anderen Seite erfolgreiche Crowdfunding-Kampagnen, wie kiva.org oder kickstarter. Letzterer hat es im Jahr 2015 immerhin geschafft eine Milliarde Dollar für Film-, Musik- und Kunstprojekte zu mobilisieren.
Ebenso war die globale Stopp-TTIP-Bewegung durch soziale Medien vernetzt, die die Allianzbildung von mehr als 500 Organisationen in ganz Europa ermöglichte. Und nicht zuletzt organisiert sich die privat organisierte Flüchtlingshilfe in Europa vornehmlich über soziale Medien und vermochte es mehrere zig Tausende ehrenamtliche Flüchtlingshelfer zu mobilisieren und die einzelnen Hilfsaktionen zu koordinieren.

In repressiven Regimen birgt der digitale Aktivismus sogar noch mehr politische Sprengkraft. So kann seine Rolle bei der Entstehung des Arabischen Frühlings, der Maidan-Bewegung oder der Besetzung des Gezi-Parkes in Istanbul kaum noch heruntergespielt werden. In Wirklichkeit ist die Organisation von sozialen Protesten ohne soziale Medien kaum noch denkbar beziehungsweise wenig erfolgversprechend.

Der digitale Aktivismus ist schon längst zu einer globalen Bewegung geworden. Die beiden größten Plattformen für Onlinepetitionen (change.org und avaaz.org) verfügen eigenen Angaben zufolge gemeinsam über nahezu 130 Millionen Nutzer, die mit einem Mausklick eine Petition unterschreiben und mit zwei weiteren eine eigene ins Leben rufen können. So hat etwa Change.org rund sechs Millionen Briten dazu gebracht eine Onlinepetition zu unterzeichnen. Den Betreibern dieser Plattform zufolge sind etwa die Hälfte der 1.500 Petitionen, die monatlich in Großbritannien ins Leben gerufen werden, erfolgreich.

Clicktivism – Zwischen Marketing und Aktivismus

Ungeachtet der globalen Dynamik und Erfolge dieser Bewegung, zerbricht sich eine ganze Schar von Politologen und Soziologen noch immer darüber den Kopf, ob es sich beim Onlineaktivismus tatsächlich um politische Partizipation im demokratiepolitischen Sinne handelt oder nicht.
Zu den herausragenden Skeptikern dieser Bewegung zählt Micah White, Begründer der Occupy Wall Street Bewegung und Autor des Beststellers „The end of protests“. Seine Kritik richtet sich in erster Linie gegen die verschwimmende Grenze zwischen Marketing und Aktivismus: „Sie akzeptieren, dass Werbe- und Marktforschungsstrategien, die zum Vertrieb von Toilettenpapier eingesetzt werden, auf soziale Bewegungen angewandt werden.“ Er sieht sogar die Gefahr, dass traditioneller politischer Aktivismus und lokale Bürgerinitiativen dadurch sogar verdrängt werden. „Sie verkaufen die Illusion, dass man durch Surfen im Netz die Welt verändern könnte“, so White.

Die Befürworter des digitalen Aktivismus dagegen berufen sich auf die zahlreichen Vorteile dieser niedrigschwelligen Form der Bürgerbeteiligung. Ihnen zufolge erleichtern es Onlinepetitionen und –foren den Menschen ihren Unmut oder Zuspruch öffentlich zu artikulieren und sich für oder gegen bestimmte Dinge zu organisieren. Also einfach kostengünstig, effizient und effektiv.
Tatsächlich belegen mittlerweile auch zahlreiche Studien, dass es sich bei digitalem Aktivismus nicht um eine Konkurrenz zu klassischen demokratischen Protesten durch Petitionen, Unterschriftensammlung, Streiks und Demonstrationen handelt. Vielmehr stellen die Technologien der sozialen Medien eine Hilfestellung bei der Entstehung von sozialen und politischen Bewegungen dar.

Clicktivism- Faktor Jugend

Nicht zuletzt vermag der Onlineaktivismus eine politisch vernachlässigte und unterrepräsentierte Gruppe sehr erfolgreich in den politischen Diskurs einzubeziehen: die Jugend. Eine Gruppe, die sich von den tagespolitischen Themen ebenso wenig angesprochen fühlt, wie von den Politikern. Die viel beschworene Politikverdrossenheit der Jugendlichen ist laut Mag. Martina Zandonella, Sozialpsychologin am Forschungsinstitut SORA, ein klares Vorurteil: „Jugendliche sind sehr engagiert, doch nicht im klassischen parteipolitischen Sinn. Unsere Forschung hat gezeigt, dass Politik für Jugendliche einfach etwas Anderes bedeutet. Sie sehen Schulaktionen zum Beispiel nicht als politische Partizipation, was wir sehr wohl tun.“
Dass Jugendliche politisch interessiert sind, zeigt auch ihre Wahlbeteiligung. Seit 2013 sind Jugendliche in Österreich bereits ab 16 Jahren zur Wahl zugelassen und erreichten in lediglich drei Jahren dieselbe Wahlbeteiligung wie der Durchschnitt der Bevölkerung. „Für Jugendliche haben die Themen Arbeitslosigkeit, Bildung und soziale Gerechtigkeit einen besonders hohen Stellenwert. Sie sind lediglich von der täglichen Politik enttäuscht und fühlen sich von den aktiven Politikern nicht angesprochen“, so Zandonella. Für sie ist Clicktivism definitiv eine Form der demokratischen Teilhabe und sie begrüßen den niederschwelligen Zugang, den digitales Engagement bietet. „Aus demokratiepolitischer Sicht wird es nur dann problematisch, wenn der Zugang nicht gegeben ist, wie zum Beispiel bei der älteren Generation.“

Der deutsche Jugendforscher und Verfasser der Studie „Junge Deutsche“ Simon Schnetzer glaubt nicht, dass Jugendliche mithilfe sozialer Medien in den traditionellen politischen Diskurs eingebunden werden können. Ihm zufolge entsteht durch sie vielmehr „ein neuer politischer Raum, der ebenso meinungsbildend wirkt, mit der klassischen Öffentlichkeit als politischem Raum jedoch Wenig zu tun hat. Es gibt noch wenige Brücken zwischen diesen beiden Räumen.“
Aus der Erkenntnis heraus, dass sich Jugendliche in Deutschland von Realpolitikern nicht ausreichend vertreten fühlen, sich aber dennoch an der gesellschaftlichen Meinungsbildung beteiligen wollen, entwickelte Simon Schnetzer das Konzept der Digitalen Abgeordneten: „Das sind Volksvertreter in Repräsentantenhäusern, deren Abstimmungsverhalten direkt über das Internet durch interessierte Bürger gesteuert wird. Digitale Abgeordnete könnten beispielsweise mit einem Prozent der Stimmen ausgestattet werden und den Abgeordneten als Stimmungsbarometer der Bevölkerung dienen. Digitale Abgeordnete wären ein möglicher Weg, um politische Entscheidungen gemeinsam mit der Bevölkerung durchzuführen“.

Foto/Video: Shutterstock.

Geschrieben von Veronika Janyrova

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