in

Liebe, Sex, Statistik – Kolumne von Mira Kolenc

Mira Kolenc

Sich nicht zur Gänze erschließende oder in ihrer Vielfalt unüberschaubare Phänomene erfahren nicht selten eine Annäherung über Statistiken. Den westlichen Menschen scheint das ungeheuer zu beruhigen. Auch wenn sich längst herumgesprochen hat, dass Statistiken die „die Realität“ nur sehr bedingt abbilden. Sie kennen vermutlich das Zitat, das Winston Churchill in den Mund gelegt wird und das das Problem auf den Punkt bringt.

Eines dieser Phänomene ist Sex. Das war auch schon so, als man Sex nur die eine Aufgabe, nämlich die der Fortpflanzung, zusprach. Und wurde in der öffentlichen Wahrnehmung spätestens mit den Forschungen von William Masters und Virginia Johnson noch komplizierter. Nicht ohne Grund lässt sich mit den drei Buchstaben bis heute noch immer alles verkaufen, wohl wissend, dass Entziehung nicht möglich ist. In welcher Hinsicht auch immer, irgendwie ist der Mensch zu einer Stellungnahme gegenüber dem als Grundbedürfnis deklarierten, zumindest als für die Menschheit überlebensnotwendigen, Phänomen gezwungen.

„Was auch immer diese „wirkliche Intimität“ ist, hier vermutlich einfach nur das Gegenteil von gut ausgeleuchteten Pornos und demonstrierter Dauergeilheit mit viel Gestöhne.“

Das wäre an sich ja schon lebensfüllende Aufgabe genug, gäbe es da nicht noch diese viel unbegreiflichere Liebe. Die geht ihre ganz eigenen Wege und das auch gerne losgelöst von der Sexualität. Obwohl sie doch viel ätherischer wirkt als der handfeste Sex, zeigt sie, im Gegensatz zum Körperlichen, eine größere Beständigkeit. Und mit diesem Salat schlägt sich der Mensch seit eh und je herum, da halfen keine staatlichen Reglementierungen, gesellschaftlichen Übereinkünfte oder auch deren Auflösung. Was wurde und wird nicht alles ausprobiert, aber ob nun gesellschaftlich akzeptiert oder nicht, es änderte bisher am Ende nichts am Dilemma. Auch keine breitenwirksamen Formate im Fernsehen, wie das zu bester Sommerlochzeit gesendete „Make Love“, das uns verspricht „Liebe machen kann man lernen“ und dies auch anhand von echten Paaren aufzeigt, die nach eigener Aussage vorführen wollen, wie echte Intimität unter Liebenden aussieht, weil das Internet nur voller Sex sei, aber eben nicht voll wirklicher Intimität.
Was auch immer diese „wirkliche Intimität“ ist, hier vermutlich einfach nur das Gegenteil von gut ausgeleuchteten Pornos und demonstrierter Dauergeilheit mit viel Gestöhne. „Wirkliche Intimität“ als Antithese zu ästhetisch aufregenderem Sex also.

Was macht ein „normales“ Langzeitpärchen, mit „normalen“ sexuellen Vorlieben, „normaler“ Durchschnittsfantasie und „normalem“ routinierten Alltag denn nun, wenn Liebe und Lust nicht mehr miteinander vereinbar sind? Denn irgendwie wäre da ja noch sexuelles Verlangen, aber eben nicht mehr auf das schon Bekannte. Die Frage bleibt ungelöst. Die Antworten sind – garniert mit Bergen von Zahlen – die ewig hilflosen Standards: vom Tragen verführerischer Dessous oder „romantisch“ Essen gehen über Sprühsahne bis hin zum (gemeinsamen) Einkauf von Erwachsenenspielzeug und – eher neu im Reigen der Tipps – zur Prostata-Massage.

„Offiziell sind wir alle sexuell ausgeglichen, befriedigt und vor allem ständig aktiv.“

Paula Lambert, die sehr um die Verbesserung des Sexuallebens bemüht ist, gibt im Format „Paula kommt“ der Damenwelt den Rat mit, dass sie ihre Männer gut pflegen müsse, da diese sonst traurig werden, so gestaut und ungebraucht. Und dafür muss man nicht einmal miteinander schlafen, sondern ihnen nur „freundschaftlich einen blasen“. Frauen, so ist nämlich statistisch „bewiesen“, haben schneller keine Lust mehr auf ihren Partner. Vier von zehn Frauen (Deutschland) masturbieren lieber, als Sex zu haben und 63 Prozent (Deutschland) haben angeblich lieber nur einmal alle sechs Monate grandiosen Sex, als täglich mittelmäßigen. Hört sich irgendwie nicht so wirklich danach an, als wäre gemeinsamer Sex wichtig für eine stabile Beziehung. Obwohl selbstverständlich ständig und überall das Gegenteil betont und natürlich auch praktiziert wird. Offiziell nämlich sind wir alle sexuell ausgeglichen, befriedigt und vor allem ständig aktiv.

Eine bei „Paula kommt“ eingespielte Straßenumfrage lässt vermuten, dass der Schnitt einer gemeinsamen sexuellen Aktivität bei einmal im Monat liegt, wenn das große Feuer erloschen ist. Klingt nach einem Sportler, meinetwegen einem Golfspieler (vielleicht macht Ihnen die Einlochen-Metapher ja Spaß), der gerne Profi werden möchte. Aber statt regelmäßig zu üben, glaubt er, seine Kraft für das entscheidende Spiel aufbewahren zu müssen. Am Ende verfügt er – ohne Praxis – natürlich weder über genügend Kraft, noch über die entscheidende Technik, um weiterzukommen.

Hat man sich als Paar einmal an die gemeinsame Enthaltsamkeit gewöhnt, ist die Hürde zu Sex im Allgemeinen und erfüllendem Sex im Besonderen eine beträchtlich hohe. Wie sagt mein Sprechtrainer immer so schön? Es gibt kein „Einrädern“ für alle Zeit, man ist niemals fertig oder am Ziel, höchstens der Abstand dorthin wird kürzer. Aber den kurz zu halten bedarf es Übung, Übung und – genau – noch einmal Übung.

Foto/Video: Oskar Schmidt.

Geschrieben von Mira Kolenc

Schreibe einen Kommentar