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Nachhaltige Strategien: Großunternehmen zeigen es vor

nachhaltige Strategien

Bio ist nicht alles. Das hat ganz besonders Gartenfachhändler bellaflora erkannt. „Uns ärgert, dass Nachhaltigkeit nur ökologisch gesehen und auf die soziale Schiene vergessen wird“, erklärt Geschäftsführer Alois Wichtl die Beweggründe zu einem neuen Nachhaltigkeitsstandard, für den ab 2016 „die grüne Nummer eins“ steht. Nach dem Verzicht auf Torf in Blumenerde und dem Ausstieg bei chemisch-synthetischen Pestiziden und Herbiziden geht das heimische Vorzeigeunternehmen noch einen Schritt weiter: Es verordnet sich selbst umfassende Richtlinien, die eben nicht nur umweltrelevante Aspekte berücksichtigen, sondern Ökologie, Ökonomie, soziales Wohlergehen und gesunde Unternehmensführung vereinen – und die gesamte Lieferkette muss mitziehen. Ein bedeutungsvoller Schritt, der zu einem Wandel im österreichischen Gartenbereich führen kann. Das Label „Die gute Idee – der bellaflora Standard“ weist im Frühjahr bereits ein Fünftel aller Produkte aus.

„Uns ärgert, dass Nachhaltigkeit nur ökologisch gesehen und auf die soziale Schiene vergessen wird.“
Alois Wichtl, bellaflora

Ganzheitliche Zertifizierungen

Dabei drängt sich eine wesentliche Frage auf: Wozu braucht es firmeneigene Labels wie die von bellaflora oder Marken wie „ja natürlich“ von Rewe, die Konsumenten durchaus verwirren können? Die recht einfache Antwort: Es gibt bisher in ganz Europa keine Zertifizierung, die einen ähnlich umfassenden Blick auf Produkte und Unternehmen wirft. Bei aller Liebe und Anerkennung für EU-Biozeichen, Fairtrade, Tierschutz-Label und Co: Sie betrachten leider nur einen Teilaspekt des bewussten Konsums. Das ideale Produkt ist aber regional, bio, fair gehandelt, ohne Tierversuche, unter guten Arbeitsbedingungen produziert – eben alles zusammen. Und: Starre Richtlinien lassen zudem wenig Spielraum für unterschiedliches Engagement. Das bremst die nachhaltige Entwicklung bei Unternehmen, die aus einer Vielzahl an Gründe nur Schritt für Schritt den Wandel vollziehen können. Denn eines steht fest: Die Transformation zum nachhaltigen Markt passiert nicht über Nacht.

Globale Bedeutung

„Es sieht vielleicht einfach aus, bedarf aber einer langen, komplexen Entwickung“, erklärt Konstantin Bark, Nachhaltigkeitsbeauftragter bei Unilever. Gemeint: die Entwicklung natürlicher Produkte, wie die der neuen Knorr-Linie „Echt Natürlich“. Ja, sie hören richtig: Der Riese Unilever lässt künstliche Aromen, Geschmacksverstärker und andere inzwischen unliebsame Inhaltsstoffe gänzlich hinter sich und wendet sich 100 Prozent Natur zu. Übrigens auch in vegan und vegatarisch.
Doch der Konzern mit weltweit rund 174.000 Mitarbeiter sieht es ähnlich wie bellaflora: Nicht nur ökologische Aspekte sind wichtig, ein breiter nachhaltiger Ansatz ist gefragt. Das Unternehmen hat sich im Rahmen des eigenen „Unilever Sustainable Agriculture Code SAC“ (gemeinsam mit WWF und Oxfarm entwickelt) nicht nur zum Ziel gesetzt bis 2020 100 Prozent der landwirtschaftlichen Rohwaren nachhaltig zu beziehen, die Strategie bezieht abseits von Ökologie etwa auch den Sozial- und Personalbereich und eine gesunde, lokale Wirtschaft mit ein. Damit werden insbesondere neue Standards in den Zulieferländern außerhalb Europas gesetzt. Ein positiver, globaler Einfluss, den eigentlich nur ein Weltkonzern dieser Große bewirken kann.
Allerdings, bestätigt auch Bark: Es fehlt ein ganzheitliches Siegel – ein Zertifikat, das international umfassende Nachhaltigkeits-Kriterien definiert und ausweist. Weshalb eben auch Unilever den konzerneigenen SAC-Standard entwickelt hat.

„Nachhaltigkeit ist für die Rewe International AG kein Trend, sondern wesentliches Element unserer Unternehmensstrategie. Wir unterteilen unser nachhaltiges Engagement in vier Säulen – Grüne Produkte, Energie, Klima und Umwelt, MitarbeiterInnen und gesellschaftliches Engagement“, bestätigt Unternehmenssprecherin Lucia Urban die Breite der Nachhaltigkeitsbetrachtung auch bei Rewe, die mit „Ja natürlich“ den Weg für Bio in Österreich erst geebnet hat. Inzwischen geht es um weit mehr, so Urban: „Die Leitlinie orientiert sich u. a. an der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, den Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und dem UN Global Compact. Die Inhalte der Leitlinie umfassen Grundsätze für verantwortungsbewusstes Handeln, Arbeits- und Sozialstandards sowie Umwelt- und Tierschutz. Unsere Leitlinie für Nachhaltiges Wirtschaften ist die Basis für die nachhaltige Ausrichtung der Lieferkette in der gesamten Rewe-Group. Darin wurde ein übergeordnetes Bekenntnis zur Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft dokumentiert. Sie bildet einen Grundstock von Werten und Handlungsempfehlungen, der für alle Geschäftseinheiten gleichermaßen gilt und für die Partner als Orientierung dienen soll.“

„Wir verstehen Nachhaltigkeit als langfristigen Wertreiber, der neben aktiv gelebter ökologischer und gesellschaftlicher Verantwortung auch betriebswirtschaftliche Vorteile mit sich bringt.“
IIrene Jakobi, Telekom Austria

Der Erfolgs-Faktor

Außer Zweifel steht wohl auch der wirtschaftliche Nutzen einer umfassenden Nachhaltigkeits-Strategie. Der Erfolg der Marke „Ja natürlich“ spricht für sich. „Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher Erfolg sind absolut kein Widerspruch. Wir sind seit vielen Jahren davon überzeugt, dass sich Transparenz und nachhaltiges Wirtschaften lohnen“, bestätigt Rewe-Sprecherin Urban.
Aber auch für Österreichs Platzhirsch in Sachen Telekommunikation, der Telekom Austria Group, stellt Nachhaltigkeit einen unternehmerischen Faktor dar. Irene Jakobi, Leiterin CSR: „Wir verstehen Nachhaltigkeit als langfristigen Wertreiber, der neben aktiv gelebter ökologischer und gesellschaftlicher Verantwortung auch betriebswirtschaftliche Vorteile mit sich bringt. So können zum Beispiel durch gesteigerte Energieeffizienz sowohl Umwelt-Auswirkungen als auch die Kosten reduziert werden. Ausgangspunkt zu einem systematischen Zugang der Telekom Austria Group zum Nachhaltigkeitsmanagement ist das Drei-Säulen-Modell „People, Planet, Profit“. Das Verantwortungsverständnis umfasst somit soziale, ökologische und ökonomische Aspekte.“

Strategie, Design und Philosophie

Das US-amerikanische Unternehmen Interface ist der weltgrößte Designern und Hersteller von Teppichfliesen. Seit 1994 hat sich die Firma komplett gewandelt. Inzwischen bietet Interface beispielsweise 515 Produktfarben aus 100 Prozent recyceltem Garn oder biobasierten Rohstoffen an und setzt damit Branchenstandards. Auch die Brücke zwischen Nachhaltigkeit und Design wird erfolgreich geschlagen.
Laura Cremer, Sustainability Manager Europe: „Nachhaltigkeit und Design schließen sich nicht gegenseitig aus. Unser Nachhaltigkeitsbestreben ist eine gelebte Unternehmensphilosophie, die in alle Geschäftsbereiche integriert ist, die tägliche Arbeit beeinflusst und Innovation vorantreibt.“

bellaflora
Der bellaflora Standard orientiert sich deutlich an den global gültigen SAFA-Leitlinien (Sustainability Assessment of Food and Agriculture Systems“, also an Nachhaltigkeitsbewertungen von Agrar- und Lebensmittelsystemen. Gartenbaubetriebe werden in ihrer Gesamtheit von der unabhängigen Zertifizierungsstelle agroVet zertifiziert, nicht nur in einzelnen Produktgruppen. Für die Bereiche Ökologie, Ökonomie, Soziales und Unternehmensführung wurden 100 Kriterien aus den Bereichen Mindestanforderungen, vom Betrieb individuell wählbare Anforderungen, Selbstevaluierung des Betriebes sowie Selbstverpflichtung entwickelt, die alle zwei Jahre aktualisiert werden.

Unilever
Der „Unilever Sustainable Agriculture Code SAC“ konzentriert sich auf elf Aspekte nachhaltiger Landwirtschaft, darunter Pflanzenschutz, Biodiversität, Energie, Abfall, Tierschutz, aber auch die Sicherung der Lebensgrundlage von Landwirten. Der „Unilever Sustainable Living Plan“ umfasst ebenfalls eine Vielzahl an Aspekten, insbesondere Steigerung der Gesundheit, Reduzierung der Umweltbelastungen und die Verbesserung der Lebensbedingungen.
Unilever hat sich dabei große Ziele gesteckt, u.a.: Bis 2020 wird das Unternehmen 100 Prozent der landwirtschaftlichen Rohstoffe nachhaltig beschaffen. Halbierung der Treibhausgasbelastung durch Produkte entlang des Lebenszyklus bis 2020. Halbierung des Wasserverbrauchs, der bei einer Anwendung der Produkte durch den Verbraucher anfällt bis 2020. Halbierung des Abfalls bis 2020, der durch die Entsorgung der Produkte verursacht wird.

Rewe
Rewe verfolgt verschiedene Ansätze: den Ausbau des Sortiments an Bio- und regionalen Produkten im Food-Bereich, die Verbreiterung des Angebots an konventionell erzeugten Produkten mit dem Pro Planet-Label, die Entwicklung von nachhaltigeren Wasch-, Reinigungs- und Pflegeprodukten und die Formulierung von rohstoffspezifischen Leitlinien. Die Maßnahmen sind innerhalb von vier Säulen sichtbar: von der barrierefreien Filiale und Websites, über Smart Urban Logistics, Green Building Filialen, Green Packaging oder die Entwicklung der nachhaltigen Eigenmarke bi good bei BIPA. Auf Grundlage der Leitlinie für Nachhaltiges Wirtschaften wurden und werden spezifische Standards erarbeitet, die für einzelne Produktgruppen gelten. Diese werden in eigenen Leitlinien festgeschrieben und gelten für alle Eigenmarkenlieferanten der Rewe. Bislang wurden individuelle Standards für Palmöl- und Kakaoprodukte, Fische, Krebs- und Weichtiere und Soja als Futtermittel erstellt.

Telekom Austria
Die Nachhaltigkeitsstrategie der Telekom Austria Group orientiert sich an vier Handlungsfeldern: „Providing Responsible Products“, „Living Green“, „Empoweing People“ und „Creating Equal Opportunities“. Diese Handlungsfelder sind mit Zielen und Kennzahlen hinterlegt, hinter denen ein umfassendes Maßnahmenprogramm liegt, das kontinuierlich evaluiert wird. Der Bogen der Maßnahmen spannt sich von der Entwicklung von klimafreundlichen Produkten mit Mehrwert, wie etwa dem Co2 neutralen Netz in Österreich, über den Einsatz energieeffizienter Infrastrukturen bis zu Fortbildungsprogrammen und Medienkompetenz-Initiativen.

Foto/Video: Shutterstock.

Geschrieben von Helmut Melzer

Als langjähriger Journalist habe ich mir die Frage gestellt, was denn aus journalistischer Sicht tatsächlich Sinn machen würde. Meine Antwort darauf siehst Du hier: Option. Auf idealistische Weise Alternativen aufzeigen – für positive Entwicklungen unserer Gesellschaft.
www.option.news/ueber-option-faq/

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