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Gesellschaft ohne Vernunft

Angesichts der zahlreichen globalen Probleme zeigt sich der Homo Sapiens recht resistent gegenüber Vernunft. So gesehen sucht man „intelligentes Leben“ auf unserem Planeten vergebens. Wie vernunftbegabt ist der heutige Mensch tatsächlich? Und warum glauben wir Fakenews & Co? Sind wir eine Gesellschaft ohne Vernunft?

„Wir Menschen sind zwar vernunftbegabt, was aber nicht gleichbedeutend mit vernünftig handelnd ist.“

Elisabeth Oberzaucher, Uni Wien

Wenn man dem menschlichen Treiben zusieht, kommt man nicht umhin sich zu fragen, ob Carl von Linné einen treffenden Namen für unsere Spezies gewählt hat: Homo sapiens steht nämlich für „verstehender, verständiger“ oder „weiser, gescheiter, kluger, vernünftiger Mensch”, was nicht notwendigerweise unser Handeln im Alltag widerspiegelt. Genauer betrachtet, sind wir Menschen zwar vernunftbegabt, was aber nicht gleichbedeutend mit vernünftig handelnd ist. Woher kommt diese fehlende Konsequenz, die oft in Entscheidungen mündet, die alles andere als vernünftig sind? Sind wir eine Gesellschaft ohne Vernunft?

Die Kognition von Homo sapiens basiert auf mehr oder weniger evolutionär alten Strukturen. Diese sind im Laufe der Evolutionsgeschichte entstanden, und halfen unseren Vorfahren dabei, mit den Herausforderungen ihres Lebensumfeldes zurechtzukommen. Nun ist es jedoch so, dass das Lebensumfeld von heutigen Menschen massiv von jenem in unserer evolutionären Vergangenheit unterscheidet.

Vernunft in der Evolutionsgeschichte

Im Laufe unserer Evolutionsgeschichte haben sich Denkalgorithmen entwickelt, die dazu dienten, schnell zu passenden Entscheidungen zu finden. Die Stärke dieser Algorithmen liegt in ihrer Schnelligkeit, jedoch nicht ohne Kosten. Sie arbeiten mit Schätzungen und Unschärfen, die es erst möglich machen, in kürzester Zeit zu einer Entscheidung zu treffen. Diese Vereinfachung bedeutet, dass nicht alle Fakten bedacht gegeneinander abgewogen werden, sondern vielmehr spontan, quasi aus dem Bauch heraus, ein wenig überlegtes Urteil gefällt wird. Dieses “Über-den-Daumen-peilen” ist im Vergleich zu bedachter Überlegung äußerst ungenau und liegt häufig völlig daneben. Gerade wenn es sich um Entscheidungen in Bereichen handelt, die sich stark von unseren evolutionsgeschichtlichen Problemen unterscheidet, können die Entscheidungen, die so getroffen werden, besonders fehleranfällig sein. Dennoch vertrauen wir gerne und oft auf unser Bauchgefühl und unsere intuitiven Erkenntnisse. Und demonstrieren täglich immer und immer wieder, dass unser Gehirn sich selbst ein Bein stellt. Warum sind wir nicht klüger und hinterfragen diese intuitiven Überlegungen?

Die “Lazy-Brain-Hypothesis”

Die Großhirnrinde ist beim Homo sapiens überdimensional ausgeprägt; sowohl in der Größe als auch in der Komplexität des Neocortex lassen wir andere Spezies hinter uns. Dieses Organ ist obendrein auch noch sehr verschwenderisch: Es ist nicht nur aufwändig in der Ausbildung, sondern benötigt auch sehr viel Energie um in Betrieb zu bleiben. Wenn wir uns nun also schon so ein luxuriöses Organ leisten, drängt sich die Frage auf, warum wir es nicht gezielter einsetzen, um zu vernünftigen Entscheidungen zu kommen. Antwort darauf gibt die “Lazy-Brain-Hypothesis”, die Hypothese vom faulen Gehirn. Diese postuliert, dass unser Gehirn eine Vorliebe für Dinge entwickelt hat, die wenig Aufwand in der Verarbeitung bedeuten. Wenig Aufwand in der Verarbeitung entsteht dann, wenn man sich auf die alten, vereinfachenden Denkalgorithmen verlässt. Dass dies zu keinen perfekten Antworten führt, ist so lange egal, solange die resultierenden Entscheidungen gut genug sind.

Noch viel einfacher kann es sich das Gehirn machen, indem es gar nicht mehr selbst nachdenkt, sondern das Denken anderen überlässt. Sozial lebende Spezies haben die Möglichkeit, durch Verteilung der kognitiven Aufgaben auf mehrere Individuen eine Art Schwarmintelligenz zu entwickeln. Dies ermöglicht es, nicht nur die Denkaufgaben auf mehrere Köpfe zu verteilen, um den einzelnen Arbeit zu ersparen, sondern darüber hinaus können auch die Schlüsse, zu denen Einzelne kommen, gegen die Anderer abgewogen werden.

In der Umgebung evolutionärer Angepasstheit lebten wir in vergleichsweise kleinen Gruppen, innerhalb derer reziproke Austauschsysteme gut etabliert waren. In diesen Systemen wurden materielle Güter wie Nahrung, aber auch immaterielle Dinge, wie Fürsorge, Unterstützung, aber auch Information ausgetauscht. Da die einzelnen Gruppen in Konkurrenz zueinander standen, war das Vertrauen besonders auf Gruppenmitglieder ausgerichtet.

Fake-News, Facebook & Co – eine Gesellschaft ohne Vernunft?

Was in unserer evolutionären Vergangenheit eine durchaus sinnvolle Anpassung darstellte, führt heute zu Verhalten, das alles andere als klug und passend ist.

Wir vertrauen dem Urteil einer uns gut bekannten Person mehr als ausgewiesenen Experten, die uns nicht bekannt sind. Diese Tradierung von Stammtischweisheiten – die eher den Namen Stammtischdummheiten verdienen würden – erfuhr durch die sozialen Medien eine massive Aufwertung. Auf Facebook, Twitter und Co. haben alle Menschen gleichermaßen die Möglichkeit, ihre Meinung zu äußern, unabhängig von ihrer Qualifikation und ihren Kenntnissen zu einer Thematik. Gleichzeitig sind uns heute so viele Fakten und Detailinformationen zugänglich wie nie zuvor.

Das Informationszeitalter bedeutet zwar, dass wir Zugang zu Informationen haben, gleichzeitig aber von der schieren Menge an Information erdrückt werden, weil wir nicht dazu in der Lage sind, all das zu verstehen. Deshalb fallen wir in ein sehr altes Denkmuster zurück: Wir vertrauen auf die Aussagen derer, die wir kennen, unabhängig davon, ob diese Personen mehr wissen als wir. Dies ist unter anderem dafür verantwortlich, dass erfundene Geschichten auf den sozialen Medien herumgeistern und es unmöglich scheint, ihrer Herr zu werden. Wenn eine Falschmeldung einmal kursiert, bedarf es eines Vielfachen des Aufwandes, sie wieder richtigzustellen. Dies ist auf zweierlei Ursachen zurückzuführen: Zum Einen sind Falschmeldungen deshalb so attraktiv, weil sie ungewöhnliche Neuigkeiten darstellen und unsere Kognition darauf ausgerichtet ist, Dingen, die von der Norm abweichen, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Zum Anderen ist unser Gehirn lernfaul, indem es ungern seine Meinung ändert, wenn es einmal zu einem Schluss gekommen ist.

Bedeutet das nun also, dass wir der Dummheit hilflos ausgeliefert sind und wir keine Möglichkeit haben, uns dieser entgegenzustellen, und so unserem Namen gerecht zu werden? Die evolutionsbiologischen Denkmuster machen es uns zwar nicht unbedingt leicht, gleichzeitig aber auch nicht unmöglich. Wenn wir uns zurücklehnen und uns allein auf die evolutionär entstandenen Muster verlassen, ist das eine Entscheidung, für die wir geradestehen müssen. Denn wir sind tatsächlich vernunftbegabt, und wenn wir unser Gehirn bemühen, können wir zu letztlich vernünftigeren Menschen werden.

Optimismus als Lösung für eine Gesellschaft ohne Vernunft?
In seinem jüngsten Buch, “Aufklärung jetzt”, beschreibt Stephen Pinker seine Sicht auf den Zustand der Menschheit und der Welt. Anders, als es sich anfühlen mag, wird das Leben global gesehen sicherer, gesünder, länger, gewaltärmer, wohlhabender, besser ausgebildet, toleranter und erfüllter. Trotz mancher politischer Entwicklungen, die rückschrittlich scheinen und die Welt bedrohen, überwiegen immer noch die positiven Entwicklungen. Er beschreibt vier zentrale Säulen: Fortschritt, Vernunft, Wissenschaft und Humanitarismus, die der Menschheit dienen und Leben, Gesundheit, Glück, Freiheit, Wissen, Liebe und reichhaltige Erfahrungen herbeiführen sollen.
Er beschreibt Katastrophendenken als ein Risiko per se: Es führt zur pessimistischen Tendenz, sich auf das schlimmstmögliche Ergebnis zu fixieren und in Panik falsche Entscheidungen zu treffen. Angst und Verzweiflung führen dazu, dass Probleme unlösbar wirken, und man in Handlungsunfähigkeit dem Unausweichlichen harrt. Nur durch Optimismus holt man sich die Gestaltungsmöglichkeit wieder zurück. Optimismus bedeutet ja nicht, dass man sich untätig zurücklehnt, sondern vielmehr, dass man Probleme als lösbar ansieht und deshalb auch in Angriff nimmt. Paul Romer, der diesjährige Ökonomie-Nobelpreisträger postuliert, dass Optimismus ein Teil dessen sei, was Leute motiviert, schwierige Probleme anzugehen.
Wenn es uns gelingt, Faktenwissen mit Optimismus zusammenzuführen, sind die notwendigen Grundlagen vorhanden, um die Herausforderungen unserer Zeit in Angriff zu nehmen. Dazu ist es jedoch nötig, dass wir unsere Ängste überwinden und einen offenen Geist bewahren.

Foto/Video: Shutterstock.

Geschrieben von Elisabeth Oberzaucher

1 Kommentar

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  1. Zum Glück handeln die meisten Menschen fast immer vernünftig. Es fehlt aber manchmal am Fachwissen. Eine andere Ebene ist Religion. Und beim Klimawandel tun sich auch viele mit Fachwissen schwer.

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