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Politik ohne Kompromisse?

Politik Kompromisse

„Wir erleben den stärksten demokratischen Erosionsprozess seit den 1930er Jahren und müssen hier gegensteuern.“
Christoph Hofinger, SORA

Die Alternative zum mühevollen und – für Beteiligte wie Beobachter – oftmals ermüdendem und frustrierendem Ringen um Kompromisse ist der Autoritarismus, eine diktatorische Gesellschaftsordnung mit eingeschränkter (politischer wie kultureller) Meinungsvielfalt und (gesellschaftlichen wie persönlichen) Handlungsspielräumen. Die politischen Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit zeigen, dass sich die Menschen in ganz Europa offensichtlich nach starken, politischen Führern geradezu sehnen, die ihre politischen Überzeugungen möglichst kompromisslos durchsetzen. Der Aufstieg rechtspopulistischer und –extremer Parteien spricht jedenfalls deutlich dafür. Experten sind sich weitgehend einig darüber, dass rechtspopulistische und –extreme politische Strömungen quasi von Natur aus zu autoritären Strukturen und Führungsstilen tendieren.

Politik-Kompromisse
Ein Kompromiss ist die Lösung eines Konfliktes durch eine Verknüpfung von zunächst widerstrebenden Positionen. Dabei verzichtet jede Seite auf einen Teil ihrer Forderungen zugunsten einer neuen Position, die sie vertreten kann. Dabei ist ein Kompromiss per se weder gut noch schlecht. Das Ergebnis kann ein fauler Kompromiss sein, bei dem eine Partei tatsächlich den Kürzeren zieht, aber ebenso eine win-win Situation, bei der beide Parteien aus einer Konfliktsituation mit einem Mehrwert gegenüber ihrer ursprünglichen Position aussteigen. Letzteres gehört wohl zur hohen Kunst der Politik. In jedem Fall jedoch lebt der Kompromiss von dem Respekt für die gegnerische Position und gehört zum Wesen einer Demokratie.

Diesen Trend bestätigt scheinbar auch eine Umfrage des SORA Institute for Social Research and Consulting, die im September 2016 durchgeführt wurde. Sie ergab, dass 48 Prozent der österreichischen Bevölkerung nicht mehr an die Demokratie als beste Regierungsform glauben. Zudem widersprachen nur noch 36 Prozent der Befragten der Aussage „Wir brauchen einen starken Führer, der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss“. Im Jahr 2007 taten dies immerhin noch 71 Prozent. Der Wahlforscher und wissenschaftliche Leiter des Instituts, Christoph Hofinger, meint dazu in einem Falter-Interview: „Wir erleben den stärksten demokratischen Erosionsprozess seit den 1930er Jahren und müssen hier gegensteuern.“

Das Jahr des Stillstandes

Doch ist die Alternative zu einem sich anbahnenden autoritären politischen System tatsächlich der totale Stillstand, wie wir ihn hierzulande erleben? Ein Stillstand, der mit einer Politikverdrossenheit einhergeht, die Jahr für Jahr einen neuen Höhepunkt erreicht? Auch hier sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: So gaben bei einer Meinungsumfrage des OGM im heurigen Jahr 82 Prozent der Befragten an, wenig bis gar kein Vertrauen mehr in die Politik und 89 Prozent ebenso wenig in die heimischen Politiker zu haben.
Ein wesentlicher Grund für diesen Vertrauensverlust ist eine mittlerweile groteske Entscheidungs-, Handlungs- und Reformunfähigkeit unseres politischen Systems. Neben vielen anderen Bereichen in der Politik hat sich hierzulande auch in demokratiepolitischer Hinsicht im vergangenen Jahr kaum etwas bewegt. Von den wohlklingenden Vorhaben der Bundesregierung – „Direkte Demokratie stärken“, „Wahlrecht personalisieren“, „Informationsfreiheit statt Amtsgeheimnis“ – wurde bislang kein einziges umgesetzt. Von der jahrzehntelang debattierten Föderalismusreform wollen wir hier gar nicht erst sprechen. Vor diesem Hintergrund hat die Initiative MehrheitsWahlrecht und Demokratiereform (IMWD) das Jahr 2016 schlichtweg zum Jahr des politischen Stillstands erklärt.

Option: Minderheitsregierung

Wie heißt es so schön: Allen kann man es nicht recht machen. Aber vielleicht kann zumindest ein Teil der Wähler zufriedengestellt werden? Dazu braucht es nicht einmal große Gesetzesänderungen, das geht auch jetzt schon. Eine Partei, ohne Mehrheit nach der Wahl, bildet eine Regierung – ohne Koalitionspartner. Der Vorteil: Das Regierungsprogramm könnte geradliniger gestaltet werden und würde wohl zumindest einem Teil der Bevölkerung zusagen. Der Nachteil: Die Mehrheit im Parlament wäre nicht gegeben, für jedes Vorhaben müssten sich verlässliche Partner gesucht finden. Das macht die Minderheitsregierung äußerst instabil. Und der Schritt erfordert „Eier“, die in der heimischen Politlandschaft offenbar vergebens gesucht werden. Doch in weiterer Folge könnten sich auch wieder klarere Wahlergebnisse entwickeln.

Option: stärkere Wahlsieger

In ähnliche Richtung geht die IMWD. Sie setzt sich seit Jahren für eine Belebung der österreichischen Demokratie und eine Stärkung des Vertrauens in die Politik ein. Daher fordert die Initiative unter anderem zwei grundlegende Reformen des österreichischen Wahlrechts: „Wir treten für ein mehrheitsförderndes Wahlrecht ein, das der jeweils stärksten Partei mehrere Koalitionsmöglichkeiten eröffnet.“ so Prof. Herwig Hösele, Generalsekretär der Initiative. Dabei wäre die stimmenstärkste Partei – gemessen am Wahlergebnis – im Parlament überproportional stark vertreten und würde die Bildung einer arbeits- und entscheidungsfähigen Bundesregierung wesentlich begünstigen. Ein wesentlicher Vorteil des Mehrheitswahlrechts ist, dass es klare parlamentarische Mehrheiten – und damit auch Verantwortungen – fördert und eine stärkere Dynamik in die Politik bringt.

Befreiung vom Parteizwang

Die zweite zentrale Forderung der IMWD ist eine stärkere Persönlichkeitsorientierung des Wahlrechts. Damit soll „der Wunsch der Bevölkerung erfüllt werden, Personen und nicht anonyme Parteilisten zu wählen“, so Hösele. Das Ziel dieser Wahlrechtsreform ist es die Abhängigkeit der Abgeordneten von ihrer Partei zu reduzieren und sie damit aus der Gefangenschaft ihres Parteizwanges zu befreien. Dies würde dazu führen, dass Abgeordnete auch gegen ihre eigene Fraktion stimmen könnten, da sie sich primär ihren Wählern oder Regionen verpflichtet wären. Ein Nachteil dieses Arrangements ist jedoch, dass Mehrheitsbildungen im Parlament wesentlich undurchsichtiger werden.

Minderheit mit Mehrheit

In ihren demokratiepolitischen Forderungen ließ sich die Initiative wesentlich vom Grazer Politikwissenschaftler Klaus Poier inspirieren, der das Modell des „minderheitenfreundlichen Mehrheitswahlrechts“ entwickelt hat. Dieses sieht vor, dass die stimmenstärkste Partei automatisch die Mehrheit der Sitze im Parlament erhält. Dadurch werden im Parlament klare politische Machtverhältnisse geschaffen und gleichzeitig die Pluralität des politischen Systems sichergestellt. Das Modell wird in Österreich bereits seit den 1990er Jahren diskutiert.

Ideale vs. Kompromiss

Vor einigen Jahren hat der israelische Philosoph Avishai Margalit den politischen Kompromiss aus der dunklen, schäbigen Ecke des politischen Handlungsspektrums hervorgeholt und zur hohen Kunst des Interessensausgleichens und des Zusammenführens widersprüchlicher Positionen erhoben. In seinem Buch „Über Kompromisse – und faule Kompromisse“ (suhrkamp, 2011) beschreibt er den Kompromiss als unverzichtbares Mittel der Politik und als eine schöne und verdienstvolle Sache, zumal wenn es um Krieg und Frieden geht.
Ihm zufolge sollten wir viel eher anhand unserer Kompromisse beurteilt werden, als anhand unserer Ideale und Werte: „Ideale können uns etwas Wichtiges darüber sagen, was wir gerne wären. Kompromisse verraten uns, wer wir sind“, so Avishai Margalit.

Meinungen zu Autoritarismus
„Obwohl sich die meisten rechtspopulistischen Parteien zunächst an demokratische Regeln halten (Wahlen), versuchen sie dennoch – gemäß ihrer Ideologie – demokratische Institutionen zu unterminieren und durch ihre ausgrenzende Rhetorik auch das jeweilige „Volk“ willkürlich zu definieren, die „echten“ Österreicher, Ungarn oder Amerikaner usw. Da sie – gemäß ihrer Auffassung – das „Volk“ repräsentieren und damit auch die einzig richtige Meinung, müssen sie ja – so ihre Argumentation – auch gewinnen. Und wenn nicht, dann ist eine Verschwörung im Gange. In Europa zeigt sich, was passiert, wenn solche Parteien an der Macht sind, wie in Ungarn oder Polen. Medienfreiheit und Justiz werden sofort eingeschränkt und Oppositionelle langsam ausgeschaltet.“
o. Univ.-Prof. i.R. Dr. Ruth Wodak, Institut für Sprachwissenschaft, Universität Wien

„Autoritarismus, in Verbindung mit einer charismatischen Führungspersönlichkeit, ist ein ganz wesentliches Merkmal des Rechtspopulismus. So gesehen ist es nur logisch, dass rechtspopulistische Bewegungen immer auch zu autoritären und einfachen Antworten auf komplexe Probleme und Fragestellungen tendieren. Demokratie beruht auf Verhandlung, Kompromiss, Ausgleich. Das ist, wie wir wissen, mühsam und langwierig – und im Resultat nicht selten enttäuschend. In autoritären Systemen ist das scheinbar alles „viel einfacher…“
Dr. Werner T. Bauer, Österreichische Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung (ÖGPP)

„Autoritäre Einstellungen sind ein zentrales Wesensmerkmal rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien – und ihrer Wähler und Wählerinnen. Daher tendieren diese Parteien auch zu autoritären politischen Systemen. Ihr politisches Verständnis von Staat beinhaltet eine homogene Bevölkerung, die Ablehnung von Zuwanderung sowie die Einteilung der Gesellschaft in Ingroup und Outgroups, wobei letztere als Bedrohung identifiziert werden. Autoritäre Einstellungen umfassen außerdem die Bereitschaft zur Unterordnung unter anerkannte Autoritäten, was von diesen auch erwartet wird, um die gewünschte soziale Ordnung aufrecht zu erhalten oder wieder herzustellen, u.a. durch Bestrafung von abweichenden Meinungen oder Personen.“
Mag.a Martina Zandonella, Institute for Social Research and Consulting (SORA)

Foto/Video: Shutterstock.

Geschrieben von Veronika Janyrova

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